Ehrenamtliche Lebensbegleitung im Sterben wächst und auch das Team wächst zusammen-Teamwochenende des Ambulanten Hospizdienstes

Und draußen grast ein Pferd: Auf dem Reiterhof „Silent Corner“ in Trüben nahe Zerbst sind alle Teilnehmenden des 1. Teamwochenendes des Ambulanten Hospizdienstes der Anhaltischen Hospiz- und Palliativgesellschaft gGmbH in einem Vereinscontainer versammelt. Sie hören einen Vortrag von Dr. med. Günther Scheithauer zum Thema „Paragraph 217: Assistierter Suizid – Fluch oder Segen?“.

Der Vortrag war Teil eines Programms, welches Gemeinsamkeit, Teamfindung und Gespräche und damit verschränkt die Supervision der Hospiz- und Familienbegleiter*innen in den Mittelpunkt stellte - mit Grillabend, Frühstück und Abendessen, und mit Pferden.

Die hohe Empathiefähigkeit der Pferde nutzt die Diplompsychologin Ruth Messing-Harneit für die Supervision mit dem Medium Pferd. Die Herden- und Fluchttiere hätten, so Messing-Harneit, ein besonderes Gefühl für Situationen, spiegelten diese Situationen, mithin die Gefühle der Menschen und lieferten so verlässliche Zeichen für die je eigene, vielleicht unklare Situation. Zudem nehmen die Pferde in einer Gruppenaufstellung Stellvertreterpositionen ein. Was sie an Pferden besonders schätze, sei deren unaufdringliche Nähe, ihre Wahrhaftigkeit.

Während des Vortrages von Günther Scheithauer wird vor allem deutlich, dass ein Wissen um Komplexität auch immer Anworten relativiert. Nach Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht wurde 2020 das erst 2015 in das Strafgesetzbuch eingeführte Verbot der „geschäftsmäßigen“ Sterbehilfe als verfassungswidrig erklärt. Der Paragraph 217 setzte bis dahin die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Da der Suizid selbst nicht strafbar ist, ist auch die Assistenz des Suizids grundsätzlich straffrei. Der Begriff „geschäftsmäßig“ verbot dagegen professionellen Institutionen und Sterbehilfevereinen eine solche Assistenz und hätte auch zu einer drohenden Strafbarkeit für Ärzte führen können. Inzwischen, so Scheithauer, folge auch das Recht der Ärztekammer, welches jeden Arzt verpflichtet, lebenserhaltend zu handeln, dem Karlsruher Urteil. Dieses Urteil setzt die in der Verfassung verbriefte Autonomie des Einzelnen in den Mittelpunkt.

Scheithauer akzeptiert diesen verfassungskonformen und offenbar gesellschaftlichen Konsens, der sich letztlich im Gesetz widerspiegeln müsse. Er sagt aber zugleich: „Es ist eine Illusion, dass der Mensch in jeder Phase seines Lebens autonom ist.“ Der Mensch lebe in Beziehungen. Und in welche Situation gerate eigentlich derjenige, der den Suizid assistiere? Der Palliativmediziner sieht in der weithin praktizierten palliativen Sedierung, welche den Patienten von Schmerzen und Ängsten entlaste, einen geeigneten Weg der Unterstützung, auch deshalb, weil Schmerzen und Ängste lebenserhaltende hochaktive Prozesse beförderten, die dem Loslassen entgegenstünden.

Am Ende bleiben viele Frage, etwa nach den Bedingungen, nach einer Terminierung. Im Abwägen der Möglichkeiten scheint die eine, die einzige Antwort wenig haltbar. Aber Scheithauer spricht auch eine Möglichkeit der Handlung an, die in vielen Situationen unterschätzt werde: „Reden“. Vielleicht ändert oder klärt sich dabei die eigene Haltung. Die eigene Wahrnehmung wirke, wenn sie ausgesprochen werde, in die Gesellschaft.

Vom Wandel zeugte vor dem Abendessen auch ein ganz besonderer Blick auf den Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Mit kreativen Ideen verhandelten Floristmeister und MDR Gartenflorist 2021 Thorsten Wösthaus und Torsten Schulze der Blumenwerkstatt „Tulpe“ aus Zerbst „Moderne und traditionelle Trauerfloristik“. Zeiten ändern sich, und uns; oder wir ändern sie?

Interessieren Sie sich für die ehrenamtliche Lebensbegleitung im Sterben, dann stehen Ihnen die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter:innen der Anhaltischen Hospiz- und Palliativgesellschaft gGmbH am 8. Oktober 2022, dem Welthospiztag „Hospiz kann mehr“, in der Zeit vom 10-14 Uhr im stationären Anhalt-Hospiz Dessau, bei einem „Tag der offenen Tür“ Rede und Antwort oder kontaktieren Sie die Koordinatorin für den Bereich Dessau, Antje Hanisch telefonisch (0340-65021910).

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